Fachkräftemangel:Lebenserfahrung und Wissen schlagen digitale Kompetenz

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Ein älterer Arbeitnehmer an einer Drehmaschine. Altersdiskriminierung können sich Unternehmen nicht leisten. Jede Fachkraft wird gebraucht. (Foto: Imago)

Ältere Arbeitnehmer werden nicht für das geschätzt, was sie ihren jüngeren Kollegen voraushaben. Dabei können sich Unternehmen Altersdiskriminierung aktuell weniger leisten als jemals zuvor.

Kommentar von Johannes Bauer

Ältere Arbeitssuchende werden auf dem Arbeitsmarkt regelmäßig und systematisch diskriminiert. Anders lässt sich das Ergebnis der Umfrage der Jobplattform Indeed nicht lesen. Demnach gab mehr als ein Viertel der befragten Personalerinnen und Personaler an, dass sie Menschen über 60 generell als zu alt für ihr Unternehmen empfinden. Kaum geringer ist die altersbedingte Ablehnung bei Menschen, die älter als 55 Jahre sind.

Diese Überheblichkeit, ältere Arbeitnehmer abzulehnen, sie am Arbeitsplatz oder auf der Suche nach einem neuen Job regelrecht zu diskriminieren, kann sich Deutschland schon volkswirtschaftlich nicht leisten. Der Fachkräftemangel ist nach wie vor ein reales Problem, Anfang August waren in deutschen Unternehmen so viele Stellen unbesetzt wie nie zuvor. Schon jetzt sind fast 40 Prozent der Bevölkerung älter als 55 Jahre, und die Überalterung der Gesellschaft wäre nur durch eine derart massive Zuwanderung zu stoppen, wie sie politisch wohl kaum gewollt sein dürfte.

Überhaupt, an welchen Fähigkeiten soll es den Älteren überhaupt derart mangeln, dass sie deutschen Firmen nicht mehr vermittelbar wären? An digitaler Kompetenz? Sicher, die ist wichtig und wird in den kommenden Jahren an Bedeutung noch zunehmen. Nur älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einfach pauschal zu unterstellen, sie hätten im Umgang mit elektronischen Medien uneinholbare Defizite, ist nicht nur unfair, sondern geht auch an der Realität vorbei. Computer, das Internet und selbst soziale Netzwerke gibt es schließlich schon so lange, dass sie auch im Leben der Boomer-Generation eine zentrale Rolle spielen.

Nicht jedes klein- und mittelständische Unternehmen hat zudem eine eigene Digitalstrategie oder wäre auf eine ausgeprägte digitale Kompetenz all seiner Mitarbeiter angewiesen. Größere Firmen haben ohnehin spezialisierte Teams bzw. die Kapazitäten, Schulungen anzubieten, wenn man Prozesse digitalisieren möchte - zumindest die dafür notwendigen Basiskenntnisse dürften bei Arbeitnehmern jeder Altersstufe vorhanden sein. Auch hier gilt: Unternehmen, die das Potenzial in ihrem Team und auf der Suche nach neuen Angestellten ausschöpfen, haben einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Oder umgekehrt: Wer diese Möglichkeiten liegen lässt, schadet sich selbst enorm.

Bei jüngeren Arbeitnehmern ist Erfahrung überschätzt, bei älteren zählt sie zu wenig

Viel wichtiger als die Behebung möglicher Defizite ist jedoch, was Arbeitnehmer jenseits der fünfzig ihren jüngeren Kollegen voraushaben. Denn jahrzehntelange Erfahrung und Wissen, die sie in dieser Zeit angesammelt haben, sind durch nichts zu ersetzen. Wie kann es sein, dass junge Menschen bei Bewerbungen zu Recht über unrealistische Anforderungen an ihre Erfahrung und Vorkenntnisse stöhnen, bei den Älteren, bei denen beides im Überfluss vorhanden wäre, diese Qualitäten plötzlich aber nichts mehr wert sein sollen?

Sicher, jeder kennt einen Kollegen, der dem nahenden Ruhestand schon lange entgegenfiebert, nicht mehr oder sogar weniger als nötig zur Teamleistung beiträgt, auch mal schlechte Stimmung verbreitet und sich Veränderung mit einer ausgeprägten Attitüde der Gattung "Das haben wir schon immer so gemacht" verwehrt. Dann ist es aber Aufgabe guter Personalführung, diese Person abzuholen und aus der Belegschaft ein Team zu formen, bei dem sich die älteren mit Erfahrung und Wissen einbringen können, ohne dass die jüngeren sich mit Kritik an bestehenden Prozessen zurückhalten müssten. So viele notorische Nörgler gibt es außerdem nicht. Viel häufiger ist ein anderer Fall: Wer seinen Job nicht erst seit ein paar Jahren, sondern schon seit einigen Jahrzehnten hat, arbeitet darin meist einfach gerne und geht sein tägliches Pensum gelassener und effizienter an - eine Sichtweise, die man der nachfolgenden Generation unbedingt weitergeben sollte.

Fachkräfte jeden Alters zu berücksichtigen, könnte den Personalmangel hierzulande immerhin etwas mildern. Deshalb sollten Unternehmen ältere Arbeitssuchende für das schätzen, was sie leisten können, und Defizite durch eine frühe und kontinuierliche Weiterbildung erst gar nicht entstehen lassen.

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